"Musik ist die Gastfreundschaft des Herzens"
Eine Laudatio auf den georgischen Pianisten Paata Demurishvili / Von Volker Doberstein
In: metamorphosen 29 (1999), 50.


Spätestens seit Aziza Mustafa Zadeh wissen wir, daß in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine neue Generation origineller Jazzmusiker herangewachsen ist. Paata (sprich: Pa-ata) Demurishvili ist hierfür das jüngste Beispiel.

Geboren wurde Paata Demurishvili 1964 in Telavi, Georgien. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt der Sohn eines Musikpädagogen und Chorleiters Klavier. Studium in Tiflis und Moskau. Mit vierzehn gewinnt er seinen ersten großen Wettbewerb als Pianist. Acht Jahre später wird er unter die drei besten klassischen Pianisten der damaligen Sowjetunion gewählt. Seit 1991 lebt er in der Nähe von Heidelberg. Heute spielt er vorzugsweise Jazz, insbesondere mit seinem eigenen Trio "Paata's Jazztett".

Als ich zum ersten Mal eine Komposition dieses inzwischen in Deutschland lebenden georgischen Pianisten hörte, mußte ich unweigerlich an einen Satz aus Akira Kurosawas Filmepos Ran denken. Und dieser Satz lautet: "Musik ist die Gastfreundschaft des Herzens." Denn unüberhörbar war mit dieser Musik eine Einladung ausgesprochen. Die Einladung, einen außergewöhnlichen Musiker auf seiner immer ein wenig melancholischen, aber nie resignativen Suche nach der verlorenen Heimat zu begleiten.

In ihrem Kern ist Paata Demurishvilis Musik romantisch. Das trifft auch auf die vorliegende Aufnahme zu, die Chopin oder Schumann mindestens so sehr verpflichtet ist wie Keith Jarretts Solo-Arbeiten der 70er und frühen 80er Jahre. Im Vordergrund steht eine eigentümliche Plastizität des musikalischen Ausdrucks. – Wohl undenkbar ohne Paatas Erfahrungen als Arrangeur und Komponist von Film- und Bühnenmusik in Georgien. – So hat es den Anschein, als spiele sich hier einer auf dem Klavier in eine (innere) Landschaft hinein, die es in dieser Form vielleicht nie gegeben hat – und die doch ganz wirklich ist. Als würde in diesem selbstvergessenen und geradezu aus der Zeit fallenden Stück für Solo-Piano etwas längst Verlorenes, dessen man sich nur noch auf diesem Wege versichern kann, besungen. Selbstredend wortlos. Im Wissen darum, daß die Musik die große Bewahrerin des Unaussprechlichen ist.

Paata Demurishvilis Musik hat eine Farbe. Sie ist blau. Blau wie die Berge des Kaukasus, in einem einzigartigen Panorama umrahmt von schwarzer Erde und leuchtendem Abendrot. Ein Blau also, das genau zwischen dem Rot der Liebe und dem Schwarz des Todes angesiedelt ist, immer um Ausgleich bemüht – und immer vergeblich. Doch darüber nie seine Leuchtkraft verlierend. Denn aus dieser Musik spricht ein tiefer, ein unerschütterlicher Glaube. Wiewohl weitgehend improvisiert, ist sie sich ihrer selbst jederzeit ganz sicher. Unaufgeregt und souverän kommt sie daher. Die linke Hand zählt einen nur geringfügigen dynamischen Schwankungen unterworfenen "Ruhepuls" vor, und die rechte widersteht allen Versuchungen, der Musik in Virtuosität zu enteilen. Keine kontrastierenden Up-Tempo-Intermezzi. Kein manischer Gestaltungswille. Statt dessen rückhaltloses Vertrauen in die meditative Bewegung des dem Stück zugrundeliegenden musikalischen Gedankens selbst.


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