Klabund
Ein charakterisierender Essay / Von Christian v. Zimmermann (Bonn)
In: metamorphosen 29 (1999), 28-31.


Er sei "der letzte aus dem Geschlecht dichtender Vaganten" gewesen und von seinem Werk werde mehr Bestand haben als von den meisten Dichtern seit Heinrich Heine. Mit diesen Worten bedachte der Kritiker Carl v. Ossietzky in der Weltbühne den jung verstorbenen Schriftsteller Klabund. Doch in den siebzig Jahren seit seinem Tod war den Versuchen einer Wiederentdeckung kein Erfolg beschieden. Als die Expressionisten ihre Renaissance erlebten, blieb der einst populäre Anverwandte unbedacht, als die politischen Zeitgenossen neu gelesen wurden, war der undogmatische und politisch richtungslose Dichter ebenfalls nicht gefragt. Klabund war nie ein vergessener Autor, aber die Breite seiner literarischen Tätigkeit ist kaum bekannt. Im Heidelberger Elfenbein Verlag wird nun eine achtbändige Ausgabe der Werke Klabunds vorgelegt, in welcher die zu Lebzeiten publizierten Romane, Erzählungen, Dramen und Gedichte sowie Übertragungen nach der Textgestalt der Erstausgaben zusammengeführt werden. Der erste Band erschien 1998; bis zum Herbst 2001 soll die Ausgabe abgeschlossen sein.

"In Breslau", so schreibt der Schriftsteller Hans Sahl, der in jener Stadt studierte, in seinen Memoiren eines Moralisten, "lernte ich [...] den Dichter Klabund kennen, der mit der Schauspielerin Carola Neher zusammenlebte. Er trug eine große Brille, hatte einen kurzgeschorenen Schädel, einen runden Kopf und das Aussehen eines schüchternen Studenten, der mehr wußte, als er von sich gab. Er war lungenkrank und wurde oft von Hustenanfällen geschüttelt; er war wie Brecht ein deutscher Bänkelsänger. Aber was ihn von Brecht unterschied, war seine Bescheidenheit, er war zuvorkommend und höflich im Gespräch mit anderen, während Brecht oft schroff war und abweisend. Er machte nie viel von sich her, obwohl er dazu allen Grund gehabt hätte. Ich liebte seine Chansons, seine originellen Kurzromane, die im Grunde lange Gedichte in Prosa waren oder lyrische Essays. [...] Klabund war ein Tonfall, ein Lautenlied, gesungen in einer sternklaren Nacht von einem Sterbenden, dessen Tage gezählt waren."

Als Hans Sahl Klabund 1924 in Breslau kennenlernte, war der 34jährige Dichter ein erfolgreicher, aber bettelarmer Begleiter an der Seite der aufstrebenden bekannten Schauspielerin Carola Neher, die in Breslau neben Therese Giese und Peter Lorre engagiert war und vom Sprungbrett zur großen Karriere träumte. "Schulden wie Heu, Stroh im Kopf, und nur ein brennendes Herz", so schildert Klabund seine Situation in einem Brief. Er kannte Carola Neher gerade ein halbes Jahr und war ihr nahezu bedingungslos nach Breslau gefolgt. Ein Jahr später heiratete das Paar. Es war die zweite Ehe Klabunds, und sie verlief in turbulenten Bahnen. Vom leidenschaftlichen Streiten der Eheleute wissen die Zeitgenossen stets neue Anekdoten zu berichten. Die Ehe war von kurzer Dauer. Der zum Tode an Tuberkulose erkrankte Dichter starb im August 1928 in Davos in den Armen seiner Frau, die von eben jenem, Hans Sahl so unsympathischen, Brecht täglich bedrängt wurde, ihren Mann in Davos zurückzulassen und an die Berliner Karriere zu denken: Es ging um die Rolle der Polly in der Dreigroschenoper.

Klabund, der mit bürgerlichem Namen wie sein Vater Alfred Henschke hieß, wurde 1890 in der kleinen Stadt Crossen geboren, unweit von Frankfurt an der Oder, dort, wo Oder und Bober zusammenfließen. Alfred Henschke war ein munterer Schüler, der schon bald an die Schule in Frankfurt wechselte, wo er mit Stephan Benn, einem Bruder des Arztdichters, die Schulbank drückte. Literarische Versuche gab es - wie es sich für einen ordentlichen Berufenen der Dichtkunst gehört - schon zu Schülerzeiten. Nach der Reifeprüfung, die er als Jahrgangsbester absolvierte, begab er sich nach München, wo er im Jahr 1911 ein Studium der Germanistik aufnahm. Er lebte in Schwabing - wie sein Vorbild Frank Wedekind - und stürzte sich in atemlose Produktivität. Schon bald bekam er Gelegenheit, eigene Texte zu publizieren; er zog um nach Berlin, suchte und fand dort neuen Anschluß. Den ersten Erfolgen auf literarischem Gebiet standen die immer ernsteren Anzeichen seiner Erkrankung gegenüber. Im März 1912 erhielt er Gewißheit: Tuberkulose. Beide Lungenhälften waren befallen, die damals übliche Rippenresektion war also nicht mehr möglich.

"Klabunds Leben stand unter dem Zeichen der Krankheit und des Wortes." So schrieb der Jugendfreund Rudolf Kayser in einem rückblickenden Essay. Von Klabund kann kaum gesprochen werden, ohne von seiner Krankheit zu sprechen. Der Dichter lebte das Leben auf dem Zauberberg fast so, wie es Thomas Mann beschrieben hat. Immer wieder zog er sich - von der Krankheit gezwungen - nach Davos zurück. Auch in einigen seiner Werke wird die Welt der Kranken reflektiert. Weder den Kurzroman Franziskus noch den späten zwischen trivialer Erotik und düsterer Krankenwelt schwankenden Roman eines jungen Mannes wird man in die Hand nehmen, ohne an die Lebensgeschichte des Autors zu denken. Bereits bei seinem ersten Davosaufenthalt hatte Klabund zur Feder gegriffen; er schrieb die Davoser Erzählung Die Krankheit, in welcher die überdrehte Atmosphäre des Kurortes karikiert wird. Es ist die Atmosphäre, in welcher Klabund seine erste Frau, Brunhild Heberle, kennenlernte, die er in Gedichten als "Irene" besungen hat. Das Paar heiratete 1918 in Locarno und bald wurde ein Kind geboren. Die geliebte, tuberkulosekranke Irene starb jedoch bald nach der Geburt, und das Kind folgte ihr nur wenige Monate später. "Ich schändete dich, dolorosa mater ... | Ich habe dich mit meinem Kind gemordet. Ich habe dich gemordet", dichtet Klabund, der sich mit Selbstvorwürfen plagte, die als dunkle Schatten auch noch in späteren Romanen wiederkehren.

Die Kurorterzählung Die Krankheit war im Jahr 1917 erschienen und bereits die zehnte eigene Buchpublikation des jungen Autors. Klabund hatte schon zahlreiche Gedicht- und Liederbücher veröffentlicht sowie den kurzen "Roman eines Soldaten", Moreau, den der damals kriegsbegeisterte Kranke, der nicht selbst ins Feld ziehen durfte, 1915 verfaßt hatte. Klabund hatte wie viele seiner Generation den Krieg euphorisch begrüßt; je länger dieser jedoch anhielt, desto stärker kühlte der Fanatismus ab. Schließlich wich die Begeisterung der Ernüchterung, und der nun pazifistische Klabund forderte in einem offenen Brief aus der Schweiz den Kaiser zum Abdanken auf.

Politische Fragen haben Klabund dennoch wohl nie dauerhaft und selten ernstlich berührt. Ihm lag eher die Rolle seines Romanhelden Bracke, der als brandenburgischer Eulenspiegel im 16. Jahrhundert dem Kurfürsten den Spiegel unter die Nase hält, um ihm die Unmenschlichkeit vorzuführen, der vor allem jedoch ein arger Schalk ist und selbst nicht mit der Meßlatte bürgerlicher Moral bewertet werden will. 'Klabund', so eine seiner Selbstdeutungen zum angenommenen Dichternamen, sei eine Wortschöpfung aus Klabautermann und Vagabund. In seinem Roman Bracke, der in diesem Sinne auch Klabund heißen könnte, ist mitunter eine historische Selbstinszenierung des Autors gesehen worden. "Klabund möchte sein, was dieser Bracke ist", so lautete bereits das Urteil des Literaturhistorikers Albert Soergel (1925).

Die titelgebende Figur seines vielleicht bekanntesten 'Romans', den Klabund in den turbulenten Jahren zwischen 1916 und 1918 verfaßte, steht in der Tradition der literarischen Eulenspiegel-Figuren. Klabund verbindet in diesem Text geläufige Till-Eulenspiegel-Episoden, die er etwa bei Hans Sachs fand, mit einigen Erzählungen über den märkischen Eulenspiegel Hans Clawert. Hans Clawerts Werckliche Historien waren im 16. Jahrhundert durch den Stadtschreiber von Trebbin, Bartholomäus Krüger, herausgegeben worden und wurden Ende des 19. Jahrhunderts neu ediert. Wie im historischen Vorbild angelegt, dem er manches entlehnt, schreibt auch Klabund einen Roman in kurzen Episoden, die locker verkettet werden. Nicht in epischer Breite, sondern in anekdotischer Kürze folgt Klabund seinem Bracke durch ein abenteuerliches Narrenleben zwischen Lug und Trug, Narretei und Weisheit.

In einem Band vereint mit Klabunds letztem vollendeten Werk, dem Roman Borgia, eröffnet Bracke die Gesamtausgabe der Werke Klabunds. Zehn Jahre liegen zwischen beiden Werken. Es ist die Hauptschaffenszeit seiner überbordenden literarischen Tätigkeit. Gedichte, Erzählungen, Schwänke, Dramen, daneben noch Nachdichtungen und Bearbeitungen sowie zahlreiche Editionen und Anthologien. In diesen zehn Jahren entstehen Werke wie seine vielgelobten Nachdichtungen fernöstlicher Literatur, wie sein Drama Der Kreidekreis, welches Brecht beeinflußte. Klabunds Schriftstellerei kennt keine Grenzen der Tätigkeitsfelder. 'Klabund', so eine andere Selbstinterpretation seines aufgelesenen Künstlernamens, "das heißt Wandlung". Seine Fähigkeit, unterschiedlichste Stoffe zu verarbeiten, unterschiedlichste Stile zu pflegen, wird von den Zeitgenossen bewundert, aber auch bespöttelt. Der selbst als politisches und literarisches Chamäleon bezeichnete Dichterkollege Franz Blei gab in seinem Bestiarium literaricum (1920), einem 'Brehms Tierleben der Schriftstellerwelt', Klabund die Gestalt eines bunten Käfers, der selbst schon recht farbig sei, aber überall, wo er etwas Farbiges finde, sich darin wälze und ein wenig Farbe mitnehme. Das ist harmloser, als sich mit fremden Federn zu schmücken, aber vielleicht doch schon ein Vorwurf. Rudolf Kayser nannte ihn in seinem rückblickenden Essay einen Tänzer, der berauscht von Duft und Farben durch den japanischen Garten der Literatur eilt, "nicht als Botaniker, nicht als Forscher, vielleicht nicht einmal als ein großer Kener; aber als ein junger Mensch, der nur hier zu leben vermag [...]".

Klabund hat die leichte Muse mehr geliebt als die ernste. Er schrieb auch, um zu gefallen. Seine Gedichte gehören teils auf die Brettlbühne, seine Dramen sind großenteils leichte Komödien, seine Erzählungen sind mitunter nicht mehr als heitere oder frivole Augenblickseinfälle und seine historischen Romane haben nichts von der epischen Breite und nichts vom historischen Ernst, mit dem sich mancher Zeitgenosse trug. Dies zeigt besonders auch sein Roman Borgia, der letzte vor seinem Tod abgeschlossene Prosatext. Der Autor nahm vermutlich noch selbst die Korrekturen der Druckfahnen vor. In diesem Roman greift Klabund einen populären Stoff aus der italienischen Renaissance auf, den u. a. bereits Ferdinand Gregorovius (Lucrezia Borgia, 1874) und Emil Ludwig (Borgia, 1907) bearbeitet hatten. Grundlegend für viele literarische Auseinandersetzungen mit dem Thema war Jacob Burckhardts großer kulturhistorischer 'Versuch' über Die Cultur der Renaissance in Italien (1860 u. ö.). Klabund strafft den historischen Stoff - bedeutend genug für eine umfangreiche Familiensaga - wiederum durch episodische Zuspitzung. Breite Beschreibungen der Charaktere werden durch sprechende Situationen und anekdotische Begebenheiten ersetzt. Klabund geht allusiv und eigenwillig mit dem teilweise recht bekannten Personal seines Romans und den historischen Kontexten um. Stets ist der Wille spürbar, literarisch zu unterhalten und zu gefallen. Klabunds Bücher werben nicht um historische Wahrheiten und streifen Lebensweisheiten nur am Rande: Sie werben um Leser. Das verschafft ihnen einen eigenen, sehr sympathischen Charme, der seine Anziehungskraft bis heute nicht verloren hat.

Doch auch die dunklen Seiten seiner Werke vermögen den Leser in den Bann zu ziehen. Die zwischen Tag und Nacht, zwischen Irrsinn und Wirklichkeit ewig wandernden Traumgestalten seiner Kurzromane Pjotr und Rasputin etwa, die zugleich Märtyrer und Tyrannen sind, werden von Klabund ohne jeden Moralismus in fesselnden Kurzszenen geschildert, die zu einer atemlosen Lektüre verführen. Pjotr ist Wohltäter und Mörder, Liebender und Betrügender in einer Person, ein mit allen mythischen Zeichen ausgestatteter Antichrist, der sein Volk unbarmherzig in eine Apokalypse treibt, die er zunächst für heilsam hält, aber als nutzlos erkennen muß. Dabei setzt Klabund die erzählerischen Mittel und das mythische Material, die Motive und Stoffe der Legende, des Märchens oder der Anekdote, selbst biblischer Texte ein: So wird bereits am Anfang des Romans Pjotrs Geburt in apokalyptischer Szenerie mit Anspielungen auf Jungfrauengeburt und halbwölfische Herkunft geschildert.

Das Thema des fiktionalbiographischen Romans Rasputin ist die Gestalt des legendenumwobenen russischen Bauern Grigori Jefimowitsch Rasputin, der zum Berater der Zarin und zum angeblichen Wortgeber des Zaren aufstieg. Im Roman verknüpft Klabund in aller erzählerischer Freiheit die Geschichte von Jussows Rasputinmord mit der Erzählung von dessen Liebe zu Jussows Braut Irina sowie mit zahlreichen Szenen, die das ausschweifende Leben Rasputins in grellen Farben malen. Klabund schildert das selbstherrliche Treiben des Scheinheiligen, dessen Gesichtszüge am Ende des Romans mit den Zügen Lenins verschmelzen.

Pjotr und Rasputin, Bracke und Franziskus, Mohammed und der Ich-Erzähler aus dem Roman eines jungen Mannes teilen eines mit dem Autor: Sie alle sind Klabautermänner und Vagabunden, gehören einer eigentümlichen Vagantengesellschaft an, die der bürgerlichen Moral auf der Nase tanzt, mit ihren Träumen von einer besseren Welt, mit den Füßen auf dem drehenden Karussell des Hier und Jetzt, in welchem Lust und Leidenschaft, Liebe und Laster einander jagen, bis der Vorhang fällt. Klabunds Leiden an der Welt kommt ohne Weltschmerzpose daher und kennt das Augenzwinkern und den schönen Rausch.


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