Jede Menge Existenzialismus
Rauhfaser
präsentiert "Bildergeschichten und Wortwerk" / Von Alexander Kappes

Mensch, Blauer Klaus", sagt Sali Blum, "laß uns doch heut abend zur Rauhfaser-#2-Release-Party in die Heart Gallery in G 7 gehen." Minuten später sitzen wir im IC und fahren in dieses - unter uns gesagt - total verbumste Mannheim rein. Aber Moooment mal: Rauhfaser-#2?-Release-Party? Heart Gallery? Was soll das eigentlich? Doch Sali Blum hat sogar eine förmliche Einladung dabei, in der es heißt, Rauhfaser sei ein halbjährlich erscheinendes "Heft", das "Comics, Kunst und Kurzgeschichten mischt" und den geballten "Underground an die Oberfläche" rückt. Der zweiten Nummer solle nun mit "Wortwerk" und "Musikperformance" an besagter Örtlichkeit gehuldigt werden. Na ja.

Als wir endlich in MA angekommen sind, schaffen wir uns zunächst vorsichtshalber auf den Weihnachtsmarkt, um zur Entspannung vor dem kulturellen Overkill noch etwas Tschingelbälls zu grölen. So wanken wir zwischen den Buden entlang, betäubt von süßlichem Glühweingeruch und dem allgegenwärtigen Charme der geliebten Mantafahrermetropole.

Nach einigen Umwegen stehen wir schließlich vor G7, 20. Als wir die schmuddelige Heart Gallery betreten, umspült uns augenblicklich so ein Flair aus Eichbaum, Schwarzer Krauser und jeder Menge Existenzialismus. Keine Frage, hier tagt die Szene: Gepiercte, unterkühlte Frauen und nicht weniger authentische Dreitagebärte, Nickelbrillen et cetera. Endlich! Es regiert die Einheitsfront der autonomen Individuen. In diesem Fall, laut Selbstbeschreibung, jene Variante, die "eine dunkel gefärbte Sicht der Dinge" repräsentiert. Wahrscheinlich sind wir die einzigen im Raum, die Camus für eine französische Provinzstadt und Beckett für ein englisches Gesellschaftsspiel halten.

An den Wänden - wie angekündigt - "Comics und Kunst", d. h. ansprechende Photogeschichten von Frank Robert, ein ziemlich durchgeknalltes Comic von Ode Debil und dazu verschiedene Heut-bin-ich-kreativ!-Collagen. Aus dem Lautsprecher dröhnen einige Geräusche, bei denen Sali Blum bemerkt, ich solle sie in meinem Scherzartikel unbedingt als "Klanginstallationen" preisen. Schließlich klemmt sich ein Dichter hinters Mikrophon und erzählt uns wirre Stories über Sperma, Blut und Tränen. Vielleicht verstehen wir auch einfach nichts, doch Sali Blum ist das nach kurzer Zeit egal und sie sagt: "Trink aus, wir gehen."

Anstatt zu schildern, wie Sali Blum und der Blaue Klaus zurück zum Bahnhof wackeln, möchte ich allerdings noch eine knallharte moralische Botschaft anbringen: Liebe Leute! Seht euch dieses "Rauhfaser"-Heft wenigstens einmal an! Denn Ode Debil ist tatsächlich ein talentierter Zeichner mit skurrilen, manchmal genialen Ideen, bei denen man leicht das Gefühl bekommt, selbst der strenge Finsterling Franz K. hätte diese Comics nicht verschmäht. "Yaze" ist zwar bei weitem nicht so originell, doch seine Zeichnungen wirken richtig interessant. Die dazugehörigen Texte sind allerdings entweder prätentiöse Zitate oder relativ wirkungslose Schreibversuche. Und was negrelli aufs Papier wirft, sind lakonische, aber kurzatmige Gags.

Insgesamt bewegen sich die "Bildergeschichten" freilich auf einem weitaus höheren Niveau als viele Elaborate, die unter der pompösen Bezeichnung "Wortwerk" laufen. Wenn z. B. Edith Dietrich dichtet: "Der Rhythmus eines andren Lebens / zwingt dem Selbst das Handeln auf / Geschüttelt von der Wucht des Bebens / gehen die Dinge ihren Lauf", dann ist das weder abgespaced noch philosophisch, sondern einfach albern. Ihr dramatischer Text mit dem Titel "Stationärer Zustand" ist vergleichsweise sensationell: "Laßt uns doch ein Leben basteln! Es ist dann 5,37 m hoch, heißt Alfred und darf in meinem Bett schlafen."

Andere Jungautoren erleichtern freilich die Arbeit der Journaille am üblichen Verriß: Vincent de Conturas "Tagebuch der Verzweiflung" ist nämlich gleichermaßen aufrichtig wie belanglos. Pascal Fendrich wird vielleicht der größte Avantgardist des nächsten Jahrtausends, aber seine "anal-cerebrale Interdependenz" kommt vorerst noch als übelster Mindfuck daher. Auch der pubertäre Haß von Kurt Witte gehört eher in die Rubrik "entbehrliche Peanuts".

Wem Herz, Kopf, Magen oder sonstige Organe voll sind, der sollte sich schnellstens alle Öffnungen verkorken, denn andernfalls hört ihm vielleicht keiner mehr zu. Tja, sind wir nicht alle denkende und fühlende Wesen … und trotzdem in künstlerischer Hinsicht meistens ziemlich schwach. Vor allem dann, wenn das hehre Ego (sorry) zur Attitüde wird.

Fazit: Etwas weniger "Underground"-Getue, und, wer weiß, womöglich könnte man sich am Ende dieses - zugegeben - durchaus billige Geläster hier ersparen. So. Das war's.

Kontakt: Edith Dietrich, Dahlweg 56, 48153 Münster, Telephon: (02 51) 79 43 71.


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