Kloubert: Kernbeißer Rainer Kloubert:
»Kernbeißer und Kreuzschnäbel«
Ein Sittengemälde
aus dem alten Peking

2006, Ln., 200 S.
€ 18 [D] / € 18,50 [A] / sFr 31
ISBN 978-3-932245-81-7

Textauszug
Bestellung


Rainer Kloubert, geboren 1944 in Aachen, studierte Rechtswissenschaften und Sinologie in Freiburg, Tübingen, Hongkong und Taiwan. Er war u. a. Sprachlehrer an der Militärakademie in Taiwan, Dolmetscher bei einem chinesischen Wanderzirkus und Anwalt in Taipeh. Seit 1979 lebt er in Peking - zunächst als Universitätslektor, jetzt als Repräsentant eines deutschen Unternehmens.
Bereits erschienen: Selbstmord ohne Hut. Dreizehn Shanghai-Moritaten (1998)
Mandschurische Fluchten. Roman (2000)
Der Quereinsteiger. Roman (2003)

Porträt Rainer Kloubert

Über das Buch

Die Bewohner des alten Peking – vom Kaiser bis hin zum einfachsten Untertanen – waren darin vernarrt, den Lauten von Vögeln zu lauschen, neue für sie zu erfinden, natürliche zu verändern, sie ganze Strophen trällern zu lassen oder ihnen kuriose Manieren beizubringen, um sie anderen vorführen zu können. Die Utensilien: Käfige, Käfiggriffe, Sitzstangen, Fress- und Trinknäpfe, Gestelle, Rahmen, Halsfesseln, Kästchen, Schächtelchen und vieles mehr, von dem Klouberts kurioses Sittengemälde berichtet, sind leider für immer verschwunden – die konfuzianischen Tugendwächter hatten nur wenig für Vögel übrig. Die Mode, sie zum Vergnügen abzurichten, kam in den Regierungsjahren des Pracht und Spiel liebenden Kaisers Qianlong (1735–1799) auf, der etwa zu der Zeit, als August der Starke sein Grünes Gewölbe mit chinesischem Porzellan füllte, in Pekings Sommerpalast Versailler Bauten errichten ließ, in denen künstliche Nachtigallen sangen, Wasserkaskaden tanzten und Spieluhren sich im Kreis drehten. Unter seinen Nachfolgern gewann die Sitte, Vögel in Käfigen zu halten, immer mehr Anhänger. Mandschurische Beamte und Sinekuristen vor allem bezahlten Unsummen für besonders gelehrige oder farbenprächtige Exemplare, die so genannten »Beamten-« oder »Residenzvögel«. Als gegen Ende der Dynastie exotische Vögel auftauchten, trat für Pekings Bewohner ein weiteres Faszinosum hinzu: die berauschenden Farben des Federkleides, an der sie sich nicht satt genug sehen konnten, Gefieder nicht weniger prächtig als die Kostüme von aufgeplusterten Opernschauspielern, die auf der Bühne hin und her stolzierend ähnlich gellende und dramatische Laute von sich gaben, Schreie, die sich, wenn man sie nur genügend in die Länge zog, in Musik verwandelten, um den »sieben Gemütsregungen« Ausdruck zu verleihen: Freude, Zorn, Trauer, Angst, Liebe, Hass und Begehren.



Textauszug:

In China, dem Land der Zwergbäume, Ärmelhündchen und kleinen Frauenfüße, gab man sich nicht damit zufrieden, Vögeln einfach zu lauschen, sondern setzte – wie ein Parfümeur, der aus ätherischen Ölen künstliche Düfte komponiert – seinen Ehrgeiz darin, Laute und Lautreihen zu kultivieren, die den Vögeln von Natur aus nicht zu eigen waren. Es konnten neue Folgen sein, Variationen, Laute von anderen Vögeln und Lebewesen, Grillen oder Katzen, ja sogar Klänge aus dem Alltag: wie die Schnarren und Handklappern von Straßenhändlern, der Gong eines Wahrsagers, die Flöte eines blinden Masseurs oder das Aufeinanderschlagen von Porzellanschalen. Die Ausbildung setzte mit »Ausgefederten« oder »Astgängern« ein, wie man flügge gewordene Vögel nannte. Ältere, erfahrene Artgenossen wurden ihre Lehrmeister.
Um welche Laute und Lautfolgen es bei dieser Lehre ging? Nicht etwa um besonders melodiöse und harmonische – mit Wohlklang hatte die Ausbildung rein gar nichts zu tun. Es ging einzig um die »richtigen« Laute: Generelle und spezielle Verbote – ein ganzer Kanon, wie ein Strafgesetzbuch in einen allgemeinen und besonderen Teil gegliedert – galten den »falschen« und »schmutzigen« Lauten. Allgemeines Tabu war zum Beispiel, dass Vögel, die zur gleichen Zeit in Peking heimisch geworden waren, Laute voneinander lernten. Kopierte ein Pirol etwa den Ruf eines Seidenschwanzes, Kernbeißers oder Kreuzschnabels – diese Vögel tauchten etwa zu gleicher Zeit in Peking auf – sang er eben »falsch«. Regel Nummer zwei – ebenfalls ein Imitationsverbot, allerdings auf den Ort, nicht auf die Zeit bezogen: Kein Vogel durfte die Laute von Lebewesen, deren Habitat er teilte, nachahmen. Wie die Sumpfrohrsänger und Blaukehlchen zum Beispiel waren auch Frösche, Unken und Kröten – allesamt obszöne Wesen – in Schilfteichen und Röhrichten zu Hause. Ahmte also einer dieser Vögel deren Quaken nach (im Jargon der Vogelliebhaber die so genannten »Stricke«), sang er »schmutzig«, er stank sozusagen. Von beiden Verboten gab es jedoch, wie noch zu sehen sein wird, eine Reihe von Ausnahmen.

© 2006 Elfenbein Verlag

Programm
Hauptseite