Reinhold Schneider schrieb 1930 in seinem leider völlig vergessenen Buch »Das Leiden des Camões oder Untergang und Vollendung der portugiesischen Macht«: »Das Land verströmte sich in die Unbegrenztheit der Ozeane und ihrer Küsten. Es lieferte sich aus an die Welt.« Das stand Klabund (1890–1928), der nur kurz zuvor seine »Literaturgeschichte« vollendete, offenbar nicht so deutlich vor Augen – zu sehr wollte der Expressionist dem hehren Bild der deutschen Romantiker verbunden bleiben, das die Bedeutung einer Nation in der Welt mit dem Werk ihres vermeintlich größten Dichters verbindet:
»Portugal war zu seiner Blütezeit das Land der Entdeckungen zur See. Indien spülte ihm der Ozean wie eine kostbare Perle in den Schoß. Von den Fahrten und Kämpfen zur See, von den indischen Abenteuern handeln die ›Lusiaden‹ des Camões, der, mit Friedrich Schlegel zu reden, ›uns mit Recht statt vieler anderer Dichter und einer ganzen Literatur gelten kann‹, so reich, so bunt, so üppig ist sein Werk. [...] Luís de Camões war ein leidenschaftlicher Verfechter der Größe seines Vaterlandes mit Degen und Feder. Er sollte den Niedergang noch erleben. Von seinen Irrfahrten nach Indien rettete er nichts als das Manuskript seiner ›Lusiaden‹ und die Liebe zu der schönen Mulattin Luisa Barbara. Der König setzte ihm 1572 ein Jahresgehalt von 75 Mark auf drei Jahre aus. Als die ›Lusiaden‹ erschienen, das Epos der kriegerischen und geistigen Größe Portugals, das schönste Geschenk, das je einem Volk als Volk dargebracht wurde, kümmerte sich kein Mensch darum. Als er 1580 starb, wurde er ohne Sarg und ohne Leichentuch begraben, da er nichts, nicht einmal ein Fetzen Leinen, sein eigen nannte. Er hatte nur sein Exemplar der ›Lusiaden‹ bei sich, das er einem Priester vermachte, der ihm das Sakrament gab. Auch als Lyriker hat Camões Unvergängliches geleistet.«
Das ist ja alles nicht völlig falsch, doch sicher nur die halbe Wahrheit. Aber vor allem war es schon damals viel zu eurozentrisch. Brasilien, das Klabund »Tochterland Portugals« nennt und von dem er nur zwei Dichter kennt, war bereits 1920 fünfmal so bevölkerungsreich wie seine »Mutter«. Heute leben in Amerika zwanzigmal so viele lusophone Menschen wie in Europa; und in Afrika kommen noch sechsmal so viele dazu. Portugiesisch ist auch die Sprache Angolas, Mosambiks, Guinea-Bissaus, São Tomés, Príncipes, der Kapverden, Macaus, Osttimors ... – Und wenngleich wir nur eine Minderheit aus diesen Gegenden zu den portugiesischen Autorinnen und Autoren hinzu- gesellen konnten, zeigt unser kleiner Strauß der Lusophonie doch wunderbar farbenreiche Blüten dieser großen Sprache.
Sophia de Mello Breyner Andresen: Paisagem / Landschaft – und andere Gedichte. Übersetzt von Sarita Brandt
João Luís Barreto Guimarães: As estátuas começam a caminhar / Die Statuen beginnen zu laufen. Übersetzt von Michael Kegler
Teolinda Gersão: Der Leser. Übersetzt von Renate Heß
Florbela Espanca: Castelã da Tristeza / Burgherrin der Traurigkeit – und andere Sonette. Übersetzt von Catrin George Ponciano
Natalia Borges Polesso: Blumen und verbeultes Blech. Übersetzt von Michael Kegler
Ricardo Domeneck: Os afazeres domésticos / Verrichtungen im Haushalt – und andere Gedichte. Übersetzt von Odile Kennel
Nelson Saúte: Die Beerdigung des Fahrrads. Übersetzt von Sarita Brandt
Golgona Anghel: O desenho era tão simples / Die Zeichnung war so einfach – und andere Gedichte. Übersetzt von Clara Fischlein
Ralph Roger Glöckler: Abschied von Sagres
Luís de Camões: O céu, a terra, o vento sossegado / Himmel, Wind und Erde ruhen friedlich. Übersetzt von Rafael Arnold
Miguel Torga: Meditação / Meditation – und andere Gedichte. Übersetzt von Jakob Leiner
Uri Sissé: Die Rückkehr. Übersetzt von Julian Andonov
Voltaire: Gedicht über die Katastrophe von Lissabon oder Untersuchung des Satzes: »Alles ist gut«. Nachgedichtet von Alexander Suckel
Luísa Coelho: Anúncio / Bekanntmachung – und andere Gedichte. Übersetzt von Sarita Brandt
Patrícia Portela: Hyphen. Übersetzt von Dania Schüürmann
Conceição Evaristo: Da conjuração dos versos / Von der Revolte der Verse. Übersetzt von Margrit Klingler-Clavijo
Tobias Schwartz: Die Frau am Nebentisch
Almeida Faria: Der Engel am Fenster. Übersetzt von Sarita Brandt
Mia Couto: Tradutor de chuvas / Übersetzer von Regen – und andere Gedichte. Übersetzt von Margrit Klingler-Clavijo
Sebastião da Gama: Serra-Mãe / Mutter Gebirge. Übersetzt von André Förster
B. Kucinski: Du kommst zu mir zurück. Übersetzt von Sarita Brandt
José Alberto Postiga: Aprende o meu nome / Lern meinen Namen – und andere Gedichte. Übersetzt von Michael Kegler
Hilda Hilst: Die obszöne Madame D. Übersetzt von Dania Schüürmann
José Craveirinha: Pena / Mitleid – und andere Gedichte. Übersetzt von Michael Kegler
Rui Zink: Eigentlich hatte ich mir doch ein Pony gewünscht. Übersetzt von Michael Kegler
Martin Kulinna: Zehn Fotografien
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