Morpho peleides
Tobias Schwartz:
»Morpho peleides«
Roman
2021, geb. mit Schutzumschlag,
Lesebändchen, 648 S.
€ 29 [D] / € 29,90 [A] / sFr 39,50
ISBN 978-3-96160-039-7

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Buch

In zahllosen Schichten schreibt sich die Vergangenheit in unsere Gegenwart ein. Swetlana, eine junge Russlanddeutsche und Doktorandin der Literaturwissenschaft, und Simon, Korrepetitor am Theater, lernen sich in Berlin kennen und lieben, doch ahnen sie nicht, dass ein Verbrechen ihre Schicksale miteinander verknüpft. Swetlanas Großvater Gershom ist Holocaust-Überlebender, den es nach Russland und schließlich Israel verschlägt. Simons Großvater Wieland, Sohn eines KZ-Kommandanten, verdrängt die Erlebnisse seiner Kindheit, macht in Göttingen Karriere als Insektenforscher und heiratet die Unternehmertochter Hilde, eine hellsichtige Intellektuelle und Feministin.
Tobias Schwartz’ breit angelegtes Familienepos erzählt einfühlsam, plastisch und nicht ohne Humor von Menschen, die jeweils ihren Teil historischer Last zu tragen haben. Die Handlung führt in den Regenwald Brasiliens, nach Moskau, Warschau, Tel Aviv und in das fiktive mittel­deutsche Städtchen Bad Soltal, dem, wie es heißt, der Dichter Novalis einst einen Besuch abstattete und in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint.

Autor

Tobias Schwartz (geb. 1976) lebt als Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer in Berlin. Sein Debütroman »Film B« erschien 2007, seine Stücke wurden an verschiedenen deutschen Theatern gespielt. 2013 war Schwartz Stipendiat des Literarischen Colloquiums Berlin, 2015 erhielt er das Albrecht-Lempp-Stipendium Krakau.
Ebenfalls lieferbar: »Nordwestwärts« (2019) und »Vogelpark« (2019)

Auszug

Wieland blieb regelmäßig stehen, wenn ihm auf der Straße oder auf dem Stadtwall ein Passant mit einem Schäferhund begegnete oder — so geschah es hin und wieder auch — ein Hundebesitzer, der einen Boxer an der Leine führte. Es schnürte ihm den Magen zu, und er war unfähig, auch nur einen weiteren Schritt zu tun. Oft glaubte er, Freia leibhaftig vor sich zu erblicken — die gleiche Haltung, die gleiche Fellfärbung, die gleichen Augen —, aber dann besann er sich und sah ein, dass er sich täuschte, dass er sich täuschen musste.
Wieland befand sich auf dem Weg in die Berliner Straße, ins Zoologische Institut. Von der Oberen Karspüle aus nahm er den immer gleichen Weg, Tag für Tag, der ihn am alten Botanischen Garten vorbeiführte, in dem er bei schönem Wetter bisweilen auf einer Bank zu sitzen und den Insekten bei ihrem spielerischen Treiben zuzusehen pflegte, und über den sich allmählich herbstlich verfärbenden Wall, auf den der frische, angenehm kühle Wind gerade rote und goldene Blätter regnen ließ, unter die sich Marienkäfer und Ohrwürmer verkrochen. Den Hund sah er schon von weitem auf sich zukommen, und er verlangsamte seine Schritte, um Augenblicke später stehenzubleiben.
»Attila, da bist du ja. Was machst du denn für Sachen. Entschuldigen Sie bitte, er ist mir weggelaufen, das ist mir wirklich unangenehm. Attila, du kannst doch nicht einfach … «
Wieland hatte die junge Frau gar nicht kommen hören, die da nun von oben auf ihn herabsah — er hockte noch immer vor dem Hund und verharrte in dieser Position.

© 2021 Elfenbein Verlag

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