Mit der ersten deutschen Übersetzung der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« kann Simon Raven nun endlich auch hierzulande entdeckt werden. Mal mehr, mal weniger locker mit dem Lebensweg des englischen Berufssoldaten und Schriftstellers Fielding Gray verbunden, der nach einem Indienaufenthalt auch auf Zypern und in Deutschland stationiert ist, umspannen die zehn jeweils eigenständig lesbaren Romane erzählerisch die Jahre 1945 bis 1973. Sie sind miteinander verwoben durch die Mitglieder einer Gruppe privilegierter Internatsschüler, die sich im ersten Band »Fielding Gray« eben anschicken, in verschiedene politische, publizistische, wirtschaftliche und militärische Schaltstellen des britischen Gesellschaftslebens aufzurücken. Berührend, unerschrocken und höchst unterhaltsam erzählt Simon Raven davon, wie »menschliches Bemühen und Wohlwollen beständig dem heimtückischen Wirken von Zeit, Zufall und der übrigen Menschheit ausgesetzt sind«. Ein elitäres Bildungssystem, der Zusammenbruch des Britischen Reiches, Suezkrise und Kalter Krieg, Atomwaffenentwicklung und Studentenrevolte bilden den Hintergrund, vor dem die moralische Hybris und die menschlichen Schwächen der britischen Oberschicht und der zunehmend auch tonangebenden »Upper Middle Class« ins Visier genommen werden.
Venedig im Herbst 1973: Wer in der Literaturszene etwas auf sich hält, ist zum internationalen PEN-Kongress angereist, doch sind es nicht nur Literaten und Verleger, die sich in den Gassen und auf den Kanälen der Lagunenstadt tummeln. Zwei Forscher der Universität Cambridge haben dort ebenfalls Quartier genommen, und da in Bälde im legendären Casino eine exklusive Bakkarat-Gesellschaft um hohe Summen spielen wird, stoßen zwei Finanziers zu dem wohlgebildeten und wohlsituierten Kreis um die englischen Verleger Stern und Detterling dazu. Als in einem Palazzo eine rätselhafte alte Schrift auftaucht, gräbt sich der Autor Fielding Gray in die längst vergessene Geschichte einer italienisch-englischen Familien-Liaison ein — und fördert Kompromittierendes zutage.
Im zehnten und letzten Band der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« laufen sich in dem erhaben verfallenden Sehnsuchtsort und Außenposten der gehobenen englischen Gesellschaft viele alte Bekannte über den Weg. Raven wirft dabei ein weiteres Mal einen entlarvenden Blick auf das Selbstverständnis und die scheinbar hehren Fundamente und Traditionslinien der »guten Kreise« — und liefert zugleich einen feierlichen Abgesang auf einen edelmütigen Toten.
Simon Raven (1927—2001) besuchte als Spross einer Strumpffabrikantenfamilie die elitäre Charterhouse School, von der er 1945 wegen homosexueller Handlungen relegiert wurde. Unter seinen Mitschülern waren u. a. James Prior (später Minister im Kabinett von Margaret Thatcher) sowie der spätere Herausgeber der »Times«, William Rees-Mogg. Beide hat er in der Romanreihe »Almosen fürs Vergessen« literarisch verewigt. Nach seinem Militärdienst, den Raven als Offiziersanwärter in Indien ableistete, studierte er ab 1948 am King’s College in Cambridge Altphilologie. Er wurde Vater eines Sohnes und heiratete widerwillig. In finanzielle Schwierigkeiten geraten, trat er erneut in die Armee ein, wurde in Deutschland und in Kenia stationiert, quittierte den Dienst aber schließlich, um eine unehrenhafte Entlassung wegen Wettschulden abzuwenden. Fortan widmete er sich der Schriftstellerei und arbeitete als Literaturkritiker. Der Verleger Anthony Blond nahm ihn 1958 unter der Bedingung, mindestens 50 Meilen von Londons Vergnügungsstätten entfernt zu wohnen, unter Vertrag — ein Arrangement, das sich drei Jahrzehnte bewährte. Ein ausschweifender Lebenswandel, kühne Meinungen, seine offen ausgelebte Bisexualität und die Tatsache, dass er das Material für seine Bücher aus dem unmittelbaren Freundeskreis gewann und mit freizügigen Sexszenen und scharfzüngigen Urteilen über die Gesellschaft kombinierte, verschafften ihm einen Ruf als Schandmaul unter den englischen Nachkriegsautoren. Gleichwohl wurde er von namhaften Kollegen wie etwa Anthony Powell nicht nur als Literaturkritiker, sondern auch als Literat geschätzt. Sein 10-bändiger Romanzyklus »Alms for Oblivion« (1964—1976) wird heute mit dem Werk von Lawrence Durrell, Graham Greene, Anthony Powell und Evelyn Waugh verglichen und Raven als »einer der brillantesten Romanciers seiner Generation« bewertet (Patrick Newley). Bekannt wurde Raven auch durch die Verfilmung von Trollopes »The Pallisers« (1974) und die Fernsehserie »Edward and Mrs. Simpson« (1978) sowie die Mitarbeit am Drehbuch für den James-Bond-Film »Im Geheimdienst Ihrer Majestät« (1969). Dem Vorwurf, ein Snob zu sein, begegnete er mit dem Hinweis, er schreibe »für Leute, die sind wie ich: gebildet, weltgewandt und skeptisch«.
»Hier geht es sehr angelsächsisch zu — und das wird rücksichtslos verlacht« (Peter Ackroyd, Spectator)
»Eine funkelnde Reverenz an die schier unendliche Vielfalt menschlicher Gemeinheiten« (Times Literary Supplement)
»Ein schönes Lesevergnügen ... ein Autor mit Kultpotenzial.« (Michael Angele, Der Freitag)
»Raven vollbringt in ›Fielding Gray‹ ein kleines Meisterstück.« (Andreas Platthaus, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
»Raven schockiert, weil er Beschämendes mit Eleganz würdigt — und Würdevolles beschämend darstellt.« (Stephen Fry)
»Raven denkt wie ein Halunke, aber er schreibt wie ein Engel.« (The Guardian)
»Der vergnüglichste Romanzyklus, der jemals geschrieben wurde.« (A. N. Wilson)
»Selbstbewusst, weltgewandt, skurril... Ein höchst unterhaltsamer Erzählstil.« (Sunday Times)
Als sie das Casino von der Calle Vendramin aus betraten, fiel ihnen auf, wie ungewohnt beschwingt der Türsteher grüßte. Auch der Liftboy, der mit ihnen zu der exklusiven Etage hinauffuhr, auf der Lykiadopoulos zum Chemin de Fer lud, konnte seine unbändige Freude kaum verbergen.
»Hier weht auf einmal ein ganz anderer Wind«, sagte Max.
Der Gang zur Bar schwärmte vor Menschen, die lachten, miteinander parlierten und sich zuwinkten. In der Bar selbst schossen Kellner eifrig mit Tabletts umher, um eine mindestens dreimal so hohe Zahl von Gästen wie sonst üblich zu bedienen, während der Barchef, einem versierten Zauberkünstler gleich, routiniert und blitzschnell mit Flaschen und Cocktail-Shakern hantierend, angeregt mit den vor ihm sitzenden Trinkenden schwatzte.
»Fast wie beim Karneval«, sagte Max. »Was ist bloß in die alle gefahren?«
Als sie schließlich den Salle de Baccara betraten, wurde es ihnen klar. Während sie sich einen Weg durchs dichte Gedränge bahnten, bebte um sie herum alles vor Aufregung, vor ihnen wurden spitze Ooohs und Aaahs und Madonna-mias ausgestoßen; und als sie endlich am Spieltisch anlangten, waren sie fast geblendet von der Unmenge glänzender Plaques, die darüber verstreut lagen, und von den wogenden weißen Roben, die zu beiden Seiten um Lykiadopoulos herum aufwallten und ihn (so wollte
es Tom scheinen) jeden Moment unter sich zu begraben drohten.
»Jesus Christus, Allmächtigster!«, sagte Max. »Die verdammten Araber sind
da! Die hatten wir eigentlich erst im November erwartet.«
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