Klabund: Der letzte Kaiser
Klabund:
»Der letzte Kaiser«
Erzählung
2018, kart., 16 S.
€ 5 [D] / € 5,20 [A] / sFr 6
ISBN 978-3-96160-007-6

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Autor

Klabund, d. i. Alfred Henschke (1890—1928), veröffentlichte von 1912 an nicht weniger als 76 Bücher, darunter Gedicht­bände, Romane, Dramen, eine Vielzahl von Erzählungen, Schauspielbearbeitun­gen, Nachdichtungen östlicher Lyrik und Theaterstücke. Er studierte in München und Berlin und war mit der Schauspiele­rin Carola Neher verheiratet. Im »Dritten Reich« wurden Klabunds Bücher als Asphaltliteratur verboten.

Im Elfenbein Verlag erschienen von Klabund bisher:
»Werke in acht Bänden« (1998-2012) sowie
»Dumpfe Trommel und berauschtes Gong« (2009)
sowie die wohlfeilen Bände:
»Bracke«
»Borgia«
»Der letzte Kaiser«
»Die Harfenjule«

Auszug

Der kaiserliche Knabe wachte auf. Er schlug den gelbseidenen Vorhang zurück. Er lauschte wie ein Hase, der Männchen macht. Die regelmäßigen Atemzüge der schlafenden Diener und Eunuchen drangen aus dem Vorzimmer durch die dünne Sandelholzwand zu ihm. Er erhob sich; eine kunstvolle europäische Uhr, ein Schmied, der auf einen Amboß hämmert, begann sieben zu schlagen. Er läutete mit einer kleinen goldenen Glocke, die auf einem Mahagonitischchen neben dem Ruhebett lag. Die Flügeltüren wehten auf, und der Oberhofmeister, ein Mandarin letzten Grades, erschien. Neunmal berührte seine Stirn den Boden vor dem Kaiser, der in roten Lederschuhen, einem gelben, mit Symbolen bestickten Mantel auf einem Blaufuchsfell stand. Drei Diener sprangen wie aus dem Bauch des fetten Mandarinen hervor: der erste offerierte eine Tasse mit Tee, der zweite eine Schale mit Konfitüren, der dritte eine Lackdose mit Zigaretten. Der Kaiser nippte im Stehen am Tee. Er betrachtete aufmerksam die Frühlingslandschaft, die auf der Tasse abgebildet war: blühende Aprikosenbäume, darunter ein Liebespaar, in der Ferne ein Teich, eine Gondel, im Hintergrund ein Hügel mit einer Pagode. Der Kaiser kräuselte die Lippen ...

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