Régio: Der Prinz mit den Eselsohren José Régio:
»Der Prinz mit den Eselsohren«
Roman

Aus dem Portugiesischen von Astrid Schoregge

2004, Ln., 280 S.
€ 19 / sFr 32,70
ISBN 3-932245-55-5



Textauszug
Bestellung


José Régio (1901-1969), bürgerlich José Maria dos Reis Pereira, wurde in Vila do Conde geboren. Er studierte Romanistik in Coimbra und war Lehrer am Gymnasium von Portalegre. Régio debütierte 1925 mit seinem Gedichtband »Poemas de Deus e do Diabo«. In Coimbra gründete er 1927 zusammen mit João Gaspar Simões die Zeitschrift »Presença«, das Zentralorgan des sogenannten »Segundo Modernismo«, dessen Hauptvertreter Régio ist. Sein umfangreiches literarisches Œuvre umfaßt alle Gattungen: Lyrik, Romane, Erzählungen, Dramen und Essays.
Zuletzt erschien: »Blindekuh«

Porträt José Régio

Kritikerstimmen:

»Régio ist vielleicht die umfassendste literarische Gestalt des 20. Jahrhunderts.«
Manuel Antunes
»Régios zweiter Roman dehnt das Psychogramm des die eigene Authentizität suchenden Helden auf politische und soziale Fragen aus.«
Helmut Siepmann, Kindlers Literatur Lexikon
Über das Buch

José Régios zweiter Roman erzählt ein »Märchen für Erwachsene«, das sich heute so frisch und treffsicher anhört, wie bei seinem Erscheinen im Jahre 1943. Der Thronfolger eines Königreichs, angesiedelt im Nirgendwo und Niemals, soll eine Braut nehmen. Da entdeckt er, dass er unter seinem Turban versteckt die Ohren eines Esels hat. Und mit einem Male enttarnen sich Weisheit und Tugend am Hofe als bloße Verlogenheit und Heuchelei. Bei der Schilderung, wie sein Held versucht, Vollkommenheit durch rückhaltlose Aufrichtigkeit zu erlangen, gelingt dem Romancier eine schonungslose Gesellschaftssatire über Schein und Sein. Mit »Der Prinz mit den Eselsohren« werden die gesammelten Werke von José Régio fortgesetzt.






Textauszug:

»Es war einmal im Königreich Traslândia ein Ehepaar, das keine Kinder hatte. Ein großer Schmerz muss es sein, vermute ich, wenn ein Ehepaar, das sich gut versteht, keine Kinder bekommt. Und so verhielt es sich bei diesem Paar. Aus diesem Grunde hatte der Gatte frühzeitig zu altern begonnen, wobei er sich seinen Müßiggang erhielt, indem er chinesische Spiele lernte, Vögel, Schwerter und Degen sammelte, Dialekte und andere Belanglosigkeiten dieser Art erlernte. Und seine Frau wurde verdrossen, launenhaft, geizig, fanatisch (obgleich sie das Bild der Freude selbst gewesen war!), als wäre sie nicht verheiratet. Und vor Nutzlosigkeit und Bitterkeit war sie vor der Zeit alt geworden. Dieses Ehepaar, das sich verehrte, hatte sich langsam sogar nicht mehr ertragen können: Wie fast alle Unglücklichen, die durch ein gemeinsames, hassenswertes Unglück verbunden sind, sah jeder im anderen den Spiegel seiner Heimsuchung. Wir fügen hinzu, dass in dem vorliegenden Fall jeder dazu neigte, in dem anderen den eigentlichen Verursacher dieser Heimsuchung zu sehen. Dieser gegenseitige Groll entwickelte sich soweit, dass das traurige Ehepaar ihn vor dem Hofe nicht mehr verbergen konnte. Nun, habe ich denn nicht eine wichtige Kleinigkeit vergessen? Er selbst war der König, sie selbst war die Königin von Traslândia: Das Ausbleiben von Kindern in dieser Ehe stellte ein öffentliches Unglück dar. So wuchs der Schmerz dieser armen Eheleute noch um die Sorge der Regierenden. Die Gier der Nachbarvölker schielte auf den Thron ohne Erben. Umso mehr, als einige dieser Völker von ihren Verwandten regiert wurden, die voraussetzten, Rechte, wenn auch unbestimmte, auf den Thron zu haben. Was die Machthaber betraf, die nicht einmal ihre entfernten Verwandten waren – sie ersannen sofort Theorien, beriefen sich auf Notwendigkeiten, erörterten Doktrinen, legten Vorteile dar, dachten sich sogar Fragen der metaphysischen oder religiösen Ordnung aus, die es ihnen erlaubten, wenn die armen, unfruchtbaren Könige tot seien, über das führungslose Land herzufallen. Wer weiß nicht, wie sich Ehrgeiz und Gewalt schon immer guter Gründe gerühmt hatten? [...]«

© 2004 Elfenbein Verlag

Programm
Hauptseite