Heinrich Heines Höllenfahrt
Eine Sammlung von Nachrufen auf einen streitbaren Schriftsteller / Von Anja Steinbuch

"De mortuis nil nisi bene!" - Von den Toten nichts als Gutes! So belehrt uns ein altes Sprichwort. Doch im Falle Heinrich Heines ist dies nicht beherzigt worden. In der soeben erschienenen Sammlung von Nachrufen auf den "Loreley"-Dichter, herausgegeben von Ralf Georg Bogner, kommt Diffamierendes, Resümierendes und Phantastisches zutage: Einige Nekrologe hatten sich mit solchem Ehrgeiz auf den Tag X vorbereitet, daß sie diesen nicht abwarteten, sondern bereits zehn Jahre vor Heines tatsächlichem Tod sein Ableben publizistisch ausschlachteten.

So umstritten Heine zu Lebzeiten war, so gefürchtet war er auch. Seine Kritiker schienen in ihren Nachrufen postum mit Heine abrechnen zu wollen. So schrieb ihm die Allgemeine Zeitung eine "pikante Lust am Unreinen" und ein "Behagen am Koth" zu. Das Bremer Sonntagsblatt bezeichnete Heines Prosaschriften als "müßiges, seichtes Geschwätz mit Trivialitäten und Albernheiten, die wir kaum einem ungebildeten, sentimentalen Ladenschwengel verzeihen würden". Wir erfahren auch, daß der Wahl-Franzose seine letzte Ruhestätte auf dem Montmartre wünschte, nicht etwa auf dem Père-Lachaise - dort sei "zu viel Lärmen".

Dem Respekt vor dem Dichter Heine konnte sich freilich keiner der Nekrolog-Autoren entziehen, jedoch nie ohne Seitenhieb: "Ein schöner Stern ist hinabgesunken vom Himmel deutscher Dichtkunst," beginnt ein Anonymus seinen Nachruf und fährt fort: "aber ein Stern in Nebelhüllen, der es liebte giftige Dünste aufzuziehen." Weiter heißt es: "Heinrich Heine war seit Goethe's Tod vielleicht der begabteste aller lebenden Dichter; aber er führte den traurigen Beweis daß die künstlerische Größe auf der menschlichen ruhen muß wenn sie das Höchste erreichen soll, daß ohne den sittlichen Ernst und die Reinheit der Gesinnung kein umfassendes Werk der Poesie in fleckenloser Vollendung geschaffen werden kann."

Die Auswahl der nekrologischen Texte zeigt das breite Spektrum an Reaktionen auf Heines Tod, unterteilt in fünf Kapitel: Im ersten werden die Besprechungen von Heines Tod noch zu dessen Lebzeiten aufgeführt. Das zweite versammelt Todesmeldungen, erste Nachrufe in direkter Reaktion auf das Ableben, kurze Würdigungen in den feuilletonistischen Wochenspaziergängen, Darstellungen des Begräbnisses und der Grabgestaltung, retrospektive Berichte über Heines Krankheit und Tod und schließlich satirische Todesmeldungen. Im dritten Kapitel finden sich ausführliche Nachrufe und breitangelegte Würdigungen, Texte zur Diskussion um Heines schriftstellerischen Nachlaß, biographische Darstellungen im Zeichen des noch aktuellen Todes und deren publizistisches Echo. Das vierte Kapitel widmet sich den phantastischen Auswirkungen von Heines Ableben: Es enthält Berichte über die angeblichen jenseitigen Schicksale Heines. Im letzten Kapitel sind schließlich resümierende lexikographische Darstellungen über den Schriftsteller zusammengestellt.

Die Sammlung wirft einen unzensierten, schonungslosen Blick auf den literarischen, politischen und kulturellen Kontext, innerhalb dessen Heine publiziert und gegen den er zeitlebens polemisiert hatte. Die Lektüre ist zu empfehlen.

Heinrich Heines Höllenfahrt. Nachrufe auf einen streitbaren Schriftsteller; hg. von Ralf Georg Bogner; Heidelberg: Palatina Verlag 1997; Br., 208 S., 48 Mark; Lizenzausgabe im Manutius Verlag Heidelberg, geb., 88 Mark.


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