Kafkas Heuhaufen
Die Installationen des Künstlers Ivan Kafka / Von Thomas Niederbühl
In: metamorphosen 26 (1999), 46-47.

Tschechien und die Kunst. Man denkt an Prag und Peter Parler, vielleicht auch an berühmte Kinderserien wie Pan Tau. Aber zeitgenössische tschechische Kunst? Die gibt es und sie ist sogar international erfolgreich. Der 1952 geborene Ivan Kafka ist einer ihrer Vertreter. Er lebt und arbeitet in Prag. Zahlreiche Ausstellungen gerade in den 90er Jahren markieren die Karriere, seine Arbeiten wurden unter anderem in den usa, in England und Deutschland gezeigt. Vorläufiger Höhepunkt war die Teilnahme im letzten Jahr an der 47. Biennale in Venedig.

Im Mai 1981 trat Ivan Kafka zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Er beteiligte sich an der Ausstellung "Kleinseiter Höfe", dem nach langer Zeit ersten gemeinsamen Auftritt einer jüngeren Künstlergeneration in Prag. "Raus aus dem Ausstellungsraum", unter diesem Motto sollten die Besucher der neuen Kunst in den Straßen und Höfen der barocken Kleinseite begegnen. Kafkas Beitrag bestand aus Tausenden von weißen Holzstäbchen, die er zwischen die Pflastersteine einer Gasse gesteckt hatte – moderne Kunst, die im Wortsinn unzugänglich ist. Die Installation versperrte dem Besucher regelrecht den Weg. Wer die Straße entlangging, hinterließ eine Spur der Zerstörung. Von vorneherein war das Kunstwerk dem Untergang geweiht. Der Titel der Arbeit, Abgrenzung, ist dabei ebenso prägnant wie anspielungsreich. Mit dem Werk reagiert Kafka unmittelbar auf die Gegebenheiten des Ortes. Es funktioniert nach einem einfachen, aber effektvollen Kontrastprinzip. Die dünnen Holzstäbchen, die zwischen den massiven Pflastersteinen hervorragen, erinnern an aus dem Boden brechende Pflanzen. Endlos gereiht betonen die Stäbchen die Vertikale über der Ebene. Ihre weiße Farbe und die schwarzen Schatten ergeben ein flirrendes Muster. Der Alltagsraum wird ästhetisch aufgeladen. Darüber hinaus ist der Titel auch übertragen zu verstehen: Abgrenzung als das Anderssein-Wollen der jungen Künstlergeneration, der auch Kafka angehört. Die Ausstellung war in der èssr durchaus ein Politikum. Sie verstand sich als Rebellion gegen den Verband der Bildenden Künstler, der die Szene beherrschte und "ideologisch gefährliche" Künstler nicht ausstellen ließ. Weil die Museen und Galerien von offizieller Kunst besetzt waren, mußte die Gruppenausstellung der jungen, am Westen orientierten Künstler im Freien stattfinden. Ivan Kafka beteiligt sich an dieser Agitation, und doch besitzen seine minimalistischen Arbeiten eine überzeitliche Aussage jenseits des politischen Geschehens: Sie spüren den Grundfragen menschlichen Lebens nach.

Mitte der 80er Jahre verlagert Kafka seine Installationen in die Natur. Aufgefaltetes (1982) ist eine dieser "Realisierungen in der Landschaft", wie er selbst diese Arbeiten nennt. Eine sechs Meter hohe, keilförmige Treppe aus gepreßten Papierballen lehnt an einem Fabrikgebäude. Der Kontrast der verwendeten Materialen könnte kaum größer sein: Ein äußerst fragiler Stoff ist gegen die kompakte Mauer gesetzt, dem dauerhaften Backstein steht das witterungsanfällige Papier gegenüber. In anderen Arbeiten dient Kafka das frei in der Landschaft verfügbare Material als Werkstoff. Beispielsweise ist in Aufgehängtes von 1983 auf einem Feld bei Mutejovice Hopfen, der mit Draht zu Matten geflochten ist, zu einem Quader montiert. Ein anderes Mal ruht ein zweieinhalb Meter großer Schneeball mitten in einer verschneiten Allee als Weiße Kugel auf weißem Berg (1984). Ist das Kunst, eine Markierung in der Landschaft oder bloß Spiel?

Kafka gewinnt dem natürlichen Material in seiner Arbeit neue Eigenschaften ab. Er akkumuliert es zu geometrischen Grundformen, die er durch das Aufstellen in der freien Landschaft monumentalisiert. Durch den künstlerischen Umwandlungsprozeß entsteht in seinen eigenen Worten "eine Existenz von eigener Lebenskraft mit einer Spur der menschlichen, durch eine geometrische Form markante Berührung". Das gestalterische Eingreifen des Künstlers, der menschliche Formwille ist also an den Objekten ablesbar. Dadurch führen sie für Kafka ein Eigenleben. Wenn auch ein passives: Die Formen stehen stumm in der Landschaft, und es liegt am Betrachter, sich mit ihnen auseinanderzusetzten. Er kann an ihnen vorbeigehen oder sie bewußt wahrnehmen und zu verstehen suchen. Ganz im Sinne der amerikanischen Land art der späten 70er Jahre intendiert Ivan Kafka mit seinen punktuellen Veränderungen der Landschaft die ästhetische Aufwertung des gesamten Umraumes. Seine Arbeiten besitzen insofern ein biologisches Leben, als sie dem Kreislauf von Entstehen und Vergehen unterliegen. Papier, Pflanzen und Schnee – alles Materialien, an denen der Zahn der Zeit nagt. Die Objekte werden förmlich weggewaschen, sie verdorren oder schmelzen. "Es bleibt also wieder der Ort, an dem man erneut beginnen kann", so benennt der Künstler die Konstante in diesem Prozeß.

In den 90er Jahren kombiniert Ivan Kafka Natur mit Artifiziellem, bringt natürliche Materialien in den Ausstellungsraum oder seriell gefertigte Industrieprodukte in die freie Natur. So häuft er in dem runden, weiß getünchten Kuppelraum des Klosters Plasy zwölf Tonnen Heu zum Berg Rip im Westen / Berg zum Herumgehen (1994) auf. Mit der knapp vier mal zehn Meter großen Halbkugel erweitert Kafka seine Kunst um eine weitere Dimension: den Geruch. Vergehen und Zerfall sind nicht nur zu sehen, sie steigen auch in die Nase. Im selben Jahr zeigt die South London Gallery die Installation Warnzeichen, freundlich. Zwischen blühende Sakura-Bäume sind dicht an dicht fast dreitausend Verkehrskegel gestellt und nehmen den ganzen Innenhof ein. Laßt Blumen sprechen. Blühende Natur verleiht den Gefahr- oder Warnsignalen die im Titel angesprochene angenehme Ausstrahlung. Die geradezu unüberschaubare Reihung verdeutlicht den Raum, den sie einschließen. Zugleich spielt Kafka mit der Farbwirkung: Die gestreiften Kegel verschmelzen zu einer irisierenden Oberfläche, einem zwischen Rot und Weiß changierenden Rasen.

Auch Von nirgends nirgendwohin gibt es in mehreren Ausführungen. 1993 hatte Kafka die Installation in Prag eingerichtet, mit der gleichen Arbeit war er im letzten Jahr auf der Biennale in Venedig vertreten. Über neunhundert Bogenpfeile aus Zedernholz, die parallel über- und hintereinander an weißen Fäden aufgehängt sind, bilden einen raumfüllenden, schwebenden Kubus. Ein schmaler Rand bleibt, um das Gebilde zu umrunden. Betrachtet man das Werk, schwankt der Eindruck zwischen Ruhe und Bewegung: Fügen sich einmal die horizontalen Pfeile mit den vertikalen Fäden zu einem festverwobenen Gefüge zusammen, so meint man ein anderes Mal das Standbild des Pfeilgewitters einer heftigen Bogenschlacht vor sich zu haben. Mit dieser Assoziation von Krieg traut man sich kaum an die Schmalseite der Installation, von der man die Pfeile direkt auf sich zufliegen sieht. Das Gefühl der Vergänglichkeit, das die Naturinstallationen von Ivan Kafka prägt, scheint von einer skeptischen Sicht auf den Lauf der Geschichte verdüstert. Wie ein Pfeil taucht der Mensch aus dem Nichts auf und verschwindet dorthin. Eine traurig-schöne Nihilistenphantasie. Und doch gibt es Hoffnung, ist nicht alles verloren. Die bunten Endstücke der Pfeile und das Spiel mit verschiedenen Materialien und Richtungen öffnen die Augen für die Schönheit von Farben und Formen. Was bleibt, ist der Ort, und an dem kann das Leben beginnen.


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