Glückliche Mörder, mißlungene Hinrichtungen, ein zerbissener Hodenstrang und ein zerfetzter Buddha – das waren nicht nur triviale Schlagzeilen und Randglossen
in chinesischen Gazetten der Jahrhundertwende, sondern erzeugen auch heute noch lustvolle Gefühlsreize des Grauens. Geheimnisvoll-groteske Schauergeschichten
stehen hinter den Shanghai-Moritaten von Rainer Kloubert, der als moderner Zeitungssänger die Tradition der einst moralischen Lieder umkehrt: immer in der Absicht zu
belustigen, keinesfalls zu belehren. Der unbekannte, eigene Ton seiner kurzweiligen Sensationsminiaturen weist Kloubert neben den Bänkelsängern und ihren literarischen
Nachahmern einen einzigartigen Rang zu.
Rainer Kloubert (geb. 1944) studierte Rechtswissenschaften und Sinologie. Er war u. a. Sprachlehrer an der Militärakademie in Taiwan, Dolmetscher bei einem chinesischen
Wanderzirkus und Anwalt in Taipeh. Er ist Repräsentant eines deutschen Unternehmens in Peking.
Die Polizei stellt Nachforschungen an
über einen Selbstmordfall ein Unbekannter der irgendwann
in der Nacht in die Fluten sprang der rätselhaft und mysteriös erschien
wie auch der Mond der ihn beschien rund und blau wie ein Aquamarin
auf dem Hut eines Mandarin
Ein Fremder in einem glänzenden Smoking
einen Seidenschal um den Hals geschlungen
mietete eines abends im Mai das Hafengeläut war gerade verklungen
in der Hitze die schwer wie Blei
über dem Hafen von Shanghai hing
und auf der Stadt mit ihrem Geschrei gegen elf Uhr an der Kiukiang Mole dem Ladeplatz für Bunkerkohle einen Sampan um nach Pootung zu fahren er erbot sich die Fahrt im voraus zu zahlen
In der Nähe des Brückenkahns
nahm der Mann seinen Hut vom Kopf
der schief und verwegen auf ihm saß
legte ihn mit seinem Schirm
dem Seidenschal den er abgestreift hatte
und einem Schein über zwanzig Dollar
auf die unruhig schwankende Bank
schaute auf seine Armbanduhr Uhren die man am Handgelenk trägt
gehen immer etwas zu spät schritt dann an das Schanzkleid des Kahns
während der Boden schon unter ihm wankte als ob er von dort den Schein des Mondes der gleißend über dem Wasser hing
und der Fähre zu folgen schien aus der Nähe bewundern wollte klatschte noch einmal laut in die Hände
mit einem Schrei der sich langsam schloß
und sprang dann in die Wellen hinein wie zu einem Stelldichein wo auch der Mond sich taumelnd bewegte als der Fremde immer noch lebte bevor er wieder zur Ruhe kam um den noch immer schaukelnden Kahn in den dunklen und spiegelnden Wogen
auf denen ein Postschiff den Hafen verließ
als ob das ganze nach Plan verlief wie in einem Abschiedsbrief
Der Fährmann und die Besatzung des Kahns
die mit dem Rudern innehielten als ob sie Nebenrollen spielten starrten erschrocken in die Fluten nach einer Spanne von zwei Minuten
hörte man das Postschiff tuten
Er hatte vermutlich Gewichte bei sich da er so rasch und spurlos verschwand in den Taschen des glänzenden Smokings
die ihn nach unten gezogen hatten nach dem Sprung über seinen Schatten
Anhaltspunkte wer er denn war
oder die Umstände die ihn bewegten
diesen schwierigen Schritt zu tun eigentlich schien er ganz opportun wurden bis heute nicht gefunden
sieht man von einer Geschäftskarte ab
die in dem Band seines Hutes steckte
der auf dem Sitz immer noch lag neben dem Schal der silbern glänzte und den Namen Lidderdale trug vorne auf seinem Sitz am Bug
über den eine Welle schlug vergilbt und an den Ecken verbogen als sei die Karte ihm noch gewogen zuvorkommend und wohlerzogen