Herbst: Das bleibende Thier
Alban Nikolai Herbst:
»Das bleibende Thier«
Bamberger Elegien


2011, Fadengeheftete Broschur, 152 S.
€ 20 [D] / € 20,60 [A] /
sFr 36,20
ISBN 978-3-941184-10-7



Textauszug
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Alban Nikolai Herbst (geb. 1955) studierte Philosophie und Geschichte und arbeitete in den neunziger Jahren als Devisenbroker in Frankfurt am Main. Die literarische Bühne betrat er bereits als 26-Jähriger mit dem bemerkenswerten Novellenband »Marlboro«. Seit dem Erscheinen seines sechsten Buches, des Romans »Wolpertinger oder Das Blau« (1993), zählt er zu den wichtigsten deutschsprachigen Vertretern der postmodernen Literatur. Er ist zudem Autor von Hörspielen, Theaterstücken und Libretti und wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen, u. a. dem Grimmelshausen-Preis, geehrt. Eine breite Leserschaft bescherte Herbst der besonders sprachlich und kompositorisch höchst originelle dreiteilige »Anderswelt«-Monumentalroman (bisher erschienen sind »Thetis«, 1999, und »Buenos Aires«, 2001). Seinen Roman »Meere« (2003) ereilte wegen einer juristischen Auseinandersetzung das Schicksal des – allerdings später wieder aufgehobenen – Verkaufsverbots. Als Lyriker ist Herbst erstmals 2007 mit »Dem Nahsten Orient« an die Öffentlichkeit getreten, zuletzt legte er den Gedichtzyklus »Der Engel Ordnungen« (2008) vor.
In der Reihe »Profile der Avantgarde« erschienen im Elfenbein Verlag bereits Herbsts »Radio-Fantasien« unter dem Titel »Die Illusion ist das Fleisch auf den Dingen« (2003).


»Eine der Führungsfiguren der ästhetischen Postmoderne.«
(Wilhelm Kühlmann, in: Euphorion)

Dass der Mensch biologisch betrachtet ein Tier ist, daran besteht kein Zweifel. Und doch würde wohl jeder Mensch diese Bezeichnung brüsk von sich weisen. Worin aber unterscheidet sich der Mensch vom Tier? Ist diese Differenz positiv, gar fortschrittlich – eine Bereicherung? Was hat es dem Menschen gebracht, das Fell abzustreifen und das »Thier« zu bändigen? Das lyrische Ich versucht, darauf in dreizehn Elegien Antwort zu geben – wütend, klagend, beschwörend, trauernd, während der unaufhaltsame Fluss, die Regnitz, unter dem türhohen Bamberger Fenster vorüberzieht, aus dem der Blick auf den Kies, die Mauer, die lockenden Götter aus Stein geht. Die Gedanken fliehen rhythmisch strömend in die einsame Traurigkeit. Sonnenstrahlen, Regengüsse, Himmelfarben fluten vorbei, während der Körper – nach Luft ringend – schon im stürzenden Fluss treibt. Schwer ist sie, die drückende Kraft, betäubend die dröhnende Verzweiflung. Betäubt aber nicht das Verlangen, nicht der Wille nach schmerzender Lust, die hymnische Gier nach Zeugung und Leben.
Textauszug:

Die Liebe, gewiß, ist archicortisches Blitzen, synaptisches Feuern, nicht mehr, helle Signale der Evolution aus dem Großhirn – doch Feuern doch, Feuer! Sowie wir das spüren, ersteht es; indem wir’s sezieren, erlöscht es. Klügelnd sehen wir’s an wie Eltern Kleinkindersorgen, als wär Ironie in der Liebe vertraulich. Ließen wir’s nur ein Gefühl doch nur sein! Aufstrahlend schön macht es Dich Mutter, und Dich schön, den Sohn, und mich Vater, der dir die Schultern vererbte, die Illusionen zu tragen von Nähe durch Anderer Haut, die wir riechen, wenn uns der Schlaf abends gut nimmt, die Morganen, uns nährende, nahe, an deren unpragmatischen Bildern die Wissenschaft scheitert. Am Ton scheitert sie, entsinnt, an der Farbe, dem Ausdruck. Sie scheitert an der Emphase. Alle wir sind aus dem glühenden Irrtum gemacht.

Wie denn kam das? Was läßt uns spotten, wenn einer den Mond nicht für ein künftiges Lager benutzbarer Rohstoffe nimmt, sondern dem Schein glaubt des Mondes, dem Scheinen? Scheint er denn nicht? Bluten nicht Frauen noch immer nach seinem, nach einem Geheimnis, von dem man flüsterte unter dem Mondhof? Und scheute vor Achtung? Das ist vorbei? Das Wunder entheiligt zu Zweck. Aus Gehalt ward Gehälter. Design statt der Form als der transzendentalen Erscheinung. Ergriffensein ist nicht, kaum Rührung. Abstimmberechtigte stimmen, als wär sie von ihnen gemacht, über Natur ab, als wären sie selbst nicht mehr vegetativer Stoffwechsel ganz. Autonomie will das leugnen. Verfügbar und wurzellos aber, wer Herkunft nicht wahrhat. Herkunft bestimmt uns, bestimmte uns immer.

© 2011 Elfenbein Verlag

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