Schach Frank Barsch:
»Schach«
Roman

1997, geb., 240 S.
€ 18 / sFr 31
ISBN 3-932245-01-6

Textauszug
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»Verbrechen und Strafe, Sie reden mit einem Experten, meine Herren, dröhnte er und holte dabei weit mit dem Arm aus.«
Pressestimmen

Ein Roman, spannend und poetisch, von der Gesamtarchitektur bis ins Detail durchkomponiert. Der Text fasziniert von der ersten Zeile an durch eine in jedem Punkt originelle Sichtweise.
Hubert Bär, Passagen

Ende der achtziger Jahre gab es unter jungen Autoren ein zunehmendes Unbehagen gegenüber Texten, die vor lauter Bildungsballast nur noch um sich selbst kreisten, ohne daß sie wirklich gelesen, geschweige denn verstanden wurden. Maxim Biller brachte es auf den einfachen Nenner: »Wir wollen wieder Romane, die man in einem Zug durchlesen kann.« Ein solches Buch ist Frank Barsch mit seinem Erstling gelungen.
Franz Schneider, Rhein-Neckar-Zeitung


Textauszug:

- Sauwetter, sagte der Taxifahrer. Sie rutschten an der Sternschanze vorbei. Es soll wieder Hochwasser geben. Im Süden.
Der Fahrer wartete nicht auf die Antwort, die Koch in diesem Ping-Pong-Spiel über das Wetter zugestanden hätte. Wahrscheinlich hielt er seine Voraussage für richtig.
- Ich bin froh, daß Weihnachten rum ist, fuhr er fort, die Leute machen einen Streß, sage ich Ihnen. Als Taxifahrer ist man ja mittendrin. Kurz vor Schluß werden alle nervös. Nur weil das Jahr zu Ende geht. Das ganze Gekaufe nutzt gar nichts. Macht alles nur schlimmer … Und dann stelzen wir auf guten Vorsätzen ins neue Jahr, sagte er, wobei er die Stimme am Satzende leicht hob.
Koch hatte Gelegenheit, sich das Profil des Taxifahrers genauer anzuschauen. Lederjacke, längere Haare, unrasiert. Typisch!
- Im Januar geht alles so weiter. Immer im Kreis rum. Aber das verkraftet der Mensch nicht.
Während er redete, mußte der Fahrer sich auf die glatte Straße konzentrieren. Trotzdem unterstrich er seine Sätze, indem er eine Hand vom Lenkrad nahm und mit gespreizten Fingern durch die Luft ruderte. Dabei saß er steif hinter dem Steuer, starrte in das Schneetreiben wie in ein Schlüsselloch und redete. Vielleicht ein Student, dachte Koch.
- Ich sage Ihnen, dieses Jahrhundert ist erschöpft. Die große Zwischenzeit hat begonnen. Die letzten Jahre zählen nicht mehr. Alle spielen auf Zeit, warten auf den Abpfiff. Und dabei reden sie davon, daß jetzt die Weichen gestellt werden für das nächste Jahrtausend. Neues Zeitalter. Die meisten glauben doch sowieso, daß alles den Bach runtergeht. Kein Zwischenspiel, sondern ein Endspiel, sozusagen … Jetzt! Jetzt! Jetzt! Der Fahrer knallte die freie Hand so auf das Lenkrad, daß Koch vor Schreck zuckte. Das Wort hat doch gar keine Bedeutung mehr! Man lebt doch nur in der Zukunft, von verschobenen Hoffnungen, sozusagen. Und die Hoffnung schwimmt auf der Gegenwart wie der Schaum auf einem abgestandenen Bier. Darum wird reingeschlagen. Damit es wieder schäumt … Zukunft! Bei diesem Wort drehte er den Kopf in Kochs Richtung und setzte zu einem neuen Schwall an. Ich sage Ihnen, die, die viel zu verlieren haben, haben am meisten Angst vor der Zukunft. Unsereiner ist ja schon mit der Gegenwart vollauf beschäftigt. Und, was passiert? Die gehen einen Schritt zurück. Ich sage immer, wer wegläuft, den beißen die Hunde. Ende und neuer Anfang. Auch nur ein Versuch, von der Gegenwart abzulenken. Die geschichtliche Entwicklung ist sinnlos! Also gut, dann steigen wir morgen wieder auf Esel um, oder was?! Ich will gar nicht wissen, was auf uns zukommt. Gut, das Leben ist ein nasser Quatsch und die Menschheit eine rotierende Sinnlosigkeit. Warum strengen wir uns überhaupt an, frage ich Sie. Warum lernen wir überhaupt Lesen und Schreiben, bauen Computer und fliegen zum Mond? Am besten, wir geben die Menschenrechte zurück. Sinn wird gemacht, sage ich Ihnen! So oder so. Irgendeine Aufgabe sollte sich die Menschheit doch stellen, finden Sie nicht? Ich sage Ihnen, bis ins Mittelalter sind es weniger als zweihundert Meter. Finden Sie unter jeder Brücke.

© 1997 Elfenbein Verlag

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