Bogner: Ottakringer Sterbensläufte
Ralf Georg Bogner:
»Ottakringer Sterbensläufte«
Zwei Wiener Geschichten
2011, Fadengeheftete Br., 60 S.
€ 16 [D] / € 16,50 [A] / sFr 23,20
ISBN 978-3-941184-11-4
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Buch

Das überaus beliebte Reiseziel Wien glänzt mit der prachtvollen Ringstraße, mit herrlichen Theatern, noblen Cafés, schmucken Fiakern und süßen Mädeln. Zugleich ist die österreichische Hauptstadt aber auch ein Ort der Abgründe. Gerade in Vorstädten wie Ottakring, dem XVI. Bezirk, stehen dem imperialen Pomp vielerlei schaurige Ecken, zerfallende Zinshäuser, »ungustiöse« Spelunken und abseitige Existenzen gegenüber. In dieses grotesk-gruselige Milieu entführen die beiden makaberen Erzählungen Ralf Georg Bogners.

Autor

Ralf Georg Bogner (geb. 1967 in Wels/Oberösterreich), Literarhistoriker, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität des Saarlandes, lebt in Mannheim. Buchveröffentlichungen u. a: »Heinrich Heines Höllenfahrt« (1997), »Goethes Aufstieg ins Elysium« (1998), »Totenacker-Spaziergänge« (1998), »Der Autor im Nachruf« (2004), »Leichabdankung und Trauerarbeit« (2009). Mitherausgeber der Klabund-Werkausgabe im Elfenbein Verlag

Auszug

Ich habe lange, wenn ich von Bränden hörte, ganz selbstverständlich gedacht, sie träfen nur andere Menschen, entflammten überhaupt heute höchst selten, ja ereigneten sich mehr oder weniger bloß noch auf der Leinwand und im Fernsehen. Die jetzigen Haushaltsgeräte, so schien es mir, seien gegen Überhitzung abgesichert, moderne Fußböden, Tapeten, Lacke oder Leitungen wären nicht mehr entzündbar, und wer sollte nach all den sattsam wiederholten Warnungen so unvernünftig sein, mit den Gefahren des Feuers zu spielen? Durch Slonek wurde ich freilich eines Besseren belehrt.
Ich hatte nach schwieriger Suche endlich eine für mich passende neue Wohnung finden können, am Mildeplatz in Ottakring, nicht weit von der Endstelle des J-Wagens und dem Heurigen »Zehner-Marie« entfernt, eine angenehme, ruhige Gegend. Die Ablöse war für mich bezahlbar gewesen, die Räume lagen im dritten und letzten Stock eines gründerzeitlichen Mietshauses, sie waren hell und hoch und boten mir genau den Platz, den ich benötigte.
Slonek kannte ich lange lediglich seinem Namen nach. Ein Schild auf der ersten Tür im Parterre neben dem Aufgang zum Stiegenhaus wies mich darauf hin, billig, blechern und mit recht plumpen, breiten, großstelzigen Buchstaben schwarz beprägt. Ich wußte, daß dies – wie oft in Ottakring – ein tschechischer Name war, und zufälligerweise wußte ich sogar, was er bedeutete. In Prag war ich einmal in einem Hotel »Slon« abgestiegen – welches an sich jedoch nicht der Empfehlung würdig ist, sofern es überhaupt noch existiert –, und der Briefkopf auf der Rechnung war mit einem Elefanten unterlegt gewesen. Das »ek« aber ist im Tschechischen die Verkleinerungsform. Außerdem kannte ich einen – zugegebenermaßen geschmacklosen – Schlager von Karel Gott, in dessen Refrain das Wort »Slonek« immer wiederkehrte, und irgendjemand hatte mir einmal erzählt, die herrliche Stimme aus der goldenen Stadt singe, übersetzt, immer: »Wie geht’s Dir, Elefantchen?«
Slonek erwies sich dann, da ich ihn kennenlernte, als ziemlich kleingewachsen und furchtbar ausgemergelt. [...]

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