Bondy: Hatto
Egon Bondy:
»Hatto«
Roman
Aus dem Tschechischen von Mira Sonnenschein
2007, Ln., 180 S.
€ 19 [D] / € 19,60 [A] / sFr 27,50
ISBN 978-3-932245-84-8
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Buch

Wie Egon Bondy selbst so ist auch seine Romangestalt Hatto – ein sächsischer Mönch zu Beginn des zehnten Jahrhunderts – ein Außenseiter: Er will sich nicht verbieten lassen, anders zu denken, als es die Kirchenväter vorschreiben. Mit der ketzerischen Frage »Warum ist Gott?« lässt er die hölzernen Palisaden seines ärmlichen Klosters hinter sich und macht sich auf in eine Welt, deren alte Sicherheiten ins Wanken geraten: Ludwig das Kind, der letzte Karolinger im ostfränkischen Reich, ist gestorben und die Nachfolge ungeregelt; in Rouen lässt sich ein Wikinger taufen, um an das Königreich zu gelangen; vor den Toren Konstantinopels stehen die Bulgaren; die Mauren bedrängen Italien und die Ewige Stadt Rom, in der zu allem Unglück nicht die Päpste regieren, sondern deren Huren – das Ende der Welt scheint sich anzukündigen. Hatto besucht die reiche Stadt Mainz und nimmt an der verschwenderischen Tafelrunde des Erzbischofs teil; er reist bis nach Vineta und Ultima Thule, ans Ende der Welt, ins ewige Eis … In Briefen an den Abt seines Klosters berichtet Hatto von der Erkenntnis, zu der ihn diese Reise führt.
Auf der Grundlage historischer Quellen und detailgetreuer geschichtlicher Bilder, verknüpft mit frei erfundenen Begebenheiten, hat Egon Bondy mit »Hatto« einen philosophischen Roman von beeindruckender, karger Schönheit geschaffen. Der dem Autor so dringend notwendig erscheinende Dialog zwischen Atheismus und Theologie wird hier aufgenommen – in der Gestalt des Erkenntnis suchenden mittelalterlichen Mönchs.
Auf die Frage eines Journalisten: »Betrachten Sie sich denn nicht mehr als einen verbissenen Atheisten?« gab Egon Bondy 1997 zur Antwort: »Seit Jahren schreibe ich darüber, dass der traditionelle Atheismus vollkommener Unsinn ist, und das Monopol des Atheismus, so wie wir ihn heute erleben, eine Sackgasse des menschlichen Denkens darstellt. Damit muss man irgendwie Schluss machen, man muss mit dem Aufbau von etwas Neuem beginnen.«

Autor

Egon Bondy (1930–2007), mit bürgerlichem Namen Zbynek Fišer, ist das wohl legendärste Autorpseudonym aus dem tschechoslowakischen Underground der siebziger Jahre. Trotz seines umfangreichen literarischen Werkes existierte er bis 1990 aber »offiziell« lediglich als eine Gestalt in Bohumil Hrabals Erzählungen. Bereits in den fünfziger Jahren lebte der antidogmatische marxistische Denker am Rande der Illegalität. In diese Zeit fällt auch seine stürmische Beziehung zu der Tochter Milena Jesenskás – Jana Krejcarová. Bondy verschrieb sich schon bald dem »totalen Realismus«, einer auch von Hrabal mitgetragene künstlerischen Richtung. Das Pseudonym »Egon Bondy« wählte er aus Protest gegen den im sowjetischen Einflussgebiet auflebenden Antisemitismus. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings konnte Bondy, der Philosophie und Psychologie studiert hatte, nur noch im Underground veröffentlichen: Vertonungen seiner Gedichte sangen die Mitglieder der Band »The Plastic People of the Universe«, deren spätere Verhaftung den Anstoß zur Gründung der Charta 77 gab. Egon Bondy lebte seit Anfang der 90er Jahre bis zu seinem Tod in Bratislava, seinem selbstgewählten slowakischen »Exil«. Zu seinem Werk zählen auch umfangreiche philosophische Schriften.
Bereits erschienen: »Die invaliden Geschwister« (1999).

Auszug

Der Erzbischof begann nun damit, die wertvollen Gaben zu zeigen, die er kürzlich von den Herzögen erhalten hatte, weil sie seine Unterstützung bei der Forchheimer Wahl suchten: Goldenes und silbernes Geschirr, kostbare Stoffe und seltene Pelze, aber auch Kuriositäten und wertvolle Nichtigkeiten wie die Federn eines Pfaus oder der Schwanz eines Basilisken befanden sich darunter ebenso wie eine antike Karte mit der Darstellung der Erde. Der Erzbischof entfaltete die Rolle, um sie sodann voller Stolz als ein Geschenk der Gesandtschaft des westfränkischen Königs zu präsentieren. Er betonte, sie sei wahrhaftig römischen Ursprungs, da hier, wie er erklärte, Jerusalem entgegen der Wahrheit nicht in der Mitte der Welt dargestellt worden war. (Tatsächlich handelte es sich, obgleich die Karte schon einige Jahrhunderte alt sein musste, um eine von einem ungelehrten Mönch angefertigte Kopie späteren Datums.) Für alle erkennbar war Jerusalem nachträglich in den asiatischen Teil eingezeichnet worden. Lesen konnten die Karte allerdings nur der Erzbischof, Salomon und Hatto. Die drei beugten sich also über das äußerst seltene Werk. Keiner von ihnen hatte eine solche Karte öfter als ein-, zweimal zu Gesicht bekommen. Zuerst konnte Hatto die Umrisse Italiens, dann aber auch schon leicht die des Mittelmeers erkennen. Oberhalb im Süden Afrika, unten der Norden mit Gallien und Germanien und noch etwas tiefer die skandische und die englische Insel. Ganz unten jenes Ultima Thule, ein häufiger Gegenstand seiner Überlegungen. Links im Osten zog sich das Festland bis zum Land der Serren hin. Im Westen endete es mit einigen Halbinseln im Ozean. Auch die größten Gebirgsketten und Flüsse waren auf der Karte eingezeichnet. Doch Hatto benötigte eine Weile, bis er erkannte, wo das eigene Land zu finden war. Der Erzbischof, der bereits einige Zeit dem Studium der Karte gewidmet hatte, deutete den geschätzten Gästen mit seinem Finger die entsprechenden Umrisse an. Da – und da – und hier. Hier leben schon die Sarazenen und von hier aus ziehen die Heiden los. Hatto betrachtete das Pergament mit größter Aufmerksamkeit. Es war ein sehr seltsames Gefühl, alles auf einer so kleinen Fläche, auf der eine so große Stadt wie Mainz gar nicht auffiel, aufgezeichnet zu sehen. Er folgte konzentriert dem Finger des Erzbischofs, ja er forderte ihn auf, alles noch einmal zu zeigen …

© 2007 Elfenbein Verlag

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